Städte haben eine lange Tradition im Umgang mit disruptiven Entwicklungen und Krisen. Die Corona-Pandemie und der Klimawandel, der zu extremen Wetterereignissen mit Folgen wie Überschwemmungen in Süddeutschland bis hin zu schweren Bränden in Kalifornien führt, verändern urbane Zentren. Mit Millionen Menschen, die täglich als Pendler in die Zentren strömen, und einer weltweiten Stadtbevölkerung, die sich voraussichtlich zwischen 2000 und 2030 verdoppeln wird, müssen Städte mehr Resilienz gegen Krisen und mehr Entwicklungsflexibilität für den konstruktiven Umgang mit Transformationsdruck entwickeln.
Eine Krise erfordert, dass sich Städte anpassen und erholen. Urbane Resilienz ermöglicht es Städten, sich schnell an neue Situationen anzupassen. Wir haben alle die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Mobilität in Städten erlebt, die komplexen Entscheidungsprozesse auf politischer Ebene, die Einführung neuer Regelungen und die Anpassung unseres Mobilitätsverhaltens. Investitionen in ein robustes und nachhaltiges Mobilitätssystem helfen Städten, sich einen Vorteil zu verschaffen, um auf Herausforderungen vorbereitet zu sein. Doch welche Anforderungen werden an die Mobilitätssysteme der Zukunft gestellt? Auf der Grundlage des Konzepts der urbanen Resilienz können die Schlüsseldimensionen Anpassungsfähigkeit, Konnektivität, Optimierung und Nachhaltigkeit Orientierung bieten.
Anpassungsfähigkeit - Adaptivity
Die Bewertung der „Anpassungsfähigkeit von Mobilitätssystemen“ konzentriert sich auf institutionelle Strukturen und menschenzentrierte Faktoren. Die institutionellen Strukturen bestimmen, wie gut wir organisiert sind, um integrierte Strategien zu formulieren, zu koordinieren und umzusetzen. Ein integraler Ansatz erfordert die Zusammenarbeit von Akteuren auf verschiedenen Ebenen. In Deutschland wurde beispielsweise beschlossen, die Sicherheitsvorschriften während Corona auf Bundesebene zu koordinieren und umzusetzen. Berlin war eines der letzten Bundesländer, die beschlossen, eine Maskenpflicht in Bussen und Bahnen einzuführen.
Das Mobilitätsverhalten wird nur zum Teil durch Regeln und Vorschriften bestimmt. Es resultiert auch aus Faktoren wie Transportkosten, Systemvertrauen und kulturellen Einflüssen. Beispielsweise ging während der Pandemie die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin um 80 Prozent zurück. E-Scooter wurden plötzlich als infektionsarme Alternative zum ÖPNV wahrgenommen. In Kombination mit einer hohen Zuverlässigkeit und Nutzer*innenfreundlichkeit führte dies zu einer Verhaltensänderung. Anbieter von Mikromobilität konnten ihren Marktanteil gegenüber dem öffentlichen Verkehr steigern.
Konnektivität - Connectivity
Wir sehen heute eine deutliche Entwicklung hin zur Vernetzung von Mobilitätsanbietern, -systemen und Reisenden bzw. Pendler*innen. Die physische Vernetzung aller Angebote bietet höhere Nutzerorientierung und wird zunehmend in sogenannten Mobility Hubs organisiert. Die virtuelle Vernetzung zeigt sich im Wachstum von Online-Plattformen, die den Bürger*innen ein integriertes Mobilitätsangebot in der ganzen Stadt bieten. Es erfordert die Kooperation und Bereitschaft der Mobilitätsanbieter, die Planung und Buchung ihres Angebots auf gemeinsamen Plattformen laufen zu lassen. So hat die Stadt Berlin – in Zusammenarbeit mit dem Verkehrsbetreiber „BVG“ – die App Jelbi entwickelt. Mit dieser App steht Bewohner*innen und Besucher*innen das gesamte Mobilitätsangebot zur Verfügung. Es verbindet Anbieter, Reisende und Informationen auf einer Plattform.
In Krisenzeiten ermöglicht eine hohe Konnektivität innerhalb des Mobilitätssystems die Vernetzung und Verteilung von Personen und Informationen zur Optimierung der Mobilitätsmaßnahmen. Da Städte immer intelligenter werden, stellen jedoch Cyberangriffe eine zunehmende Bedrohung dar. Höhere digitale Konnektivität erfordert also auch verstärkte Anstrengungen zum Schutz unserer zunehmend vernetzten Systeme.
Optimierung – Optimization
Die Analyse und Optimierung von Infrastrukturanlagen und die Nutzung von Daten für strategische Entscheidungen sind der Schlüssel zur Optimierung von Mobilitätssystemen.
Die konsequente Datenorientierung bietet gerade in Krisenzeiten großes Potenzial. Gesundheitsrisiken könnten durch intelligentes Routing und die Verteilung des Passagieraufkommens reduziert werden. Verkehrsmodellierungen und die Entwicklung neuer Algorithmen helfen Städten dabei, ihr Mobilitätsmanagement unter Berücksichtigung von Echtzeit-Verkehrsbelastungen und Reisezeiten zu optimieren. Apps ermöglichen es Reisenden und Pendler*innen, ihre Routen unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeit, Effizienz, Zahlungsbereitschaft und Reisezeit optimal zu planen.
Die kommunalen Entscheidungsträger in Berlin haben den Markteintritt vieler neuer Mobilitätsanbieter in das urbane Transportnetzwerk genau beobachtet. Die Mobilitätsdaten, die viele der neuen Anbieter sammeln, können wichtige Informationen über die städtische Mobilität liefern. Ein verpflichtender Schnittstellen-Standard ermöglicht es Städten, Mobilität zu analysieren und besser zu organisieren. Im Vergleich zu anderen Städten in Europa hinkt Berlin jedoch bei der Entwicklung eines offenen Datenstandards hinterher.
Um die Infrastruktur zu optimieren, müssen bestehende Ressourcen bewertet und für neue Mobilität entwickelt werden. Berlin profitiert von einem etablierten und gut genutzten U-Bahn-Netz. Die Stärkung des intermodalen Angebots, die Schaffung nahtloser Umsteigemöglichkeiten und digitale Lösungen zur Zugangssicherung können zur Optimierung der Bahnhöfe beitragen und zu einer Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs führen. Mobilitätsstationen mit einem intermodalen Mobilitätsangebot und die Integration digitaler Lösungen können das Mobilitätsnetzwerk optimieren und zu Eckpfeilern unseres urbanen Umfelds werden.
Nachhaltigkeit – Sustainability
Resilienz und Nachhaltigkeit sind zwei unterschiedliche, aber eng miteinander verbundene Konzepte. Resilienz konzentriert sich auf die Regeneration und die Fähigkeit, sich an veränderte Umstände anzupassen. Mit Nachhaltigkeit „garantieren wir das Wohlergehen der heutigen und zukünftigen Generationen (Léon, E. 2021, metropolis.org)“. Unsere Mobilitätssysteme sollen auf Langlebigkeit ausgelegt sein und gleichzeitig anpassungsfähig bleiben, um mit der fortschreitenden Urbanisierung und dem Klimawandel fertig zu werden. Nachhaltige Maßnahmen sind darauf ausgerichtet, CO₂-Emissionen zu reduzieren, Kreislaufwirtschaft zu realisieren und sichere Systeme bereitzustellen.
Das derzeitige öffentliche Verkehrssystem in Berlin ist in vielen Aspekten erneuerungs- und modernisierungsbedürftig. Viele Bahnhöfe sind in Bezug auf die technische Ausstattung und gemessen an den Möglichkeiten stark veraltet. Eine am intermodalen Angebot und an Effizienz orientierte Optimierung des ÖPNV-Netzes kann zum Rückgrat eines zukunftsfähigen urbanen Mobilitätssystems werden. Sie kann darüber hinaus zum Motor einer integrierten, nachhaltigen Stadtentwicklung werden, die urbane Zentren als Lebens- und Wirtschaftsräume zukunftssicher aufstellt.