… und wie man ihnen begegnet
Die extremen Niederschlagsereignisse, die wir in der jüngeren Vergangenheit in den Medien (…oder direkt vor der Haustür) verfolgt haben, sind nicht mehr die Ausnahmen, sie entwickeln sich zur Regel. Knapp 24.000 Starkregenfälle waren zwischen 2003 und 2023 zu verzeichnen, das sind über 1.000 Ereignisse pro Jahr, mit einem jährlichen Schadensvolumen von knapp einer halben Milliarde Euro – von den Gefahren für Mensch und Tier ganz zu schweigen. Die Klimaprognosen deuten für die Zukunft eher noch auf eine weitere Häufung dieser gefährlichen Wettererscheinungen hin. Dekarbonisierung, Energiewende und Klimaschutz sind wichtig für die langfristige Lösung dieser globalen Herausforderung. Aber sie helfen uns nicht, wenn es darum geht, Städte und Kommune vor dem zu schützen, was nächsten Monat oder nächstes Jahr schon passieren kann.
Was ist Starkregen? Üblicherweise nennt man so Niederschläge, bei denen auf jeden Quadratmeter in einer Stunde über 15 Liter Wasser regnen. Bei außergewöhnlichen Ereignissen können das aber auch schon mal über 100 oder gar 200 Liter Wasser im gleichen Zeitraum sein – und das muss man sich wirklich bildlich vorstellen (… 20 Eimer Wasser auf einer Fläche von einem mal einem Meter) und dann auf ein ganzes Stadtgebiet hochrechnen! Es braucht nicht das Expertenwissen eines Wasserbauingenieurs, um zu verstehen, dass unser „klassisches“ und historisch gewachsenes System der urbanen Entwässerung mit solchen Ereignissen komplett überfordert ist. Entsprechend haben sich die Bilder aus der jüngeren Vergangenheit ins Gedächtnis eingebrannt.
Weniger im Fokus der medialen Öffentlichkeit, aber ebenso gravierend sind die Folgen für Industrie- und Unternehmensstandorte, für die Starkregenereignisse nochmal ganz andere Risiken darstellen: Produktionsausfälle, Unterbrechung von Lieferketten, teure Schäden an Anlagen und Bauwerken und Umweltrisiken durch Gefahrstoffe. Die oft großflächige Versiegelung und mitunter jahrzehntealte Kanalsysteme bilden zusammen ein Risiko, das im Ernstfall ein Unternehmen in seiner wirtschaftlichen Existenz bedrohen kann – einschließlich entsprechender Arbeitsplatzverluste.
Resilienz durch Innovation
Nur deprimierende Bedrohungsszenarien also? Ganz sicher nicht. Die mentale Verdrängungsphase ist durch, die Risiken werden auf breiter Front anerkannt. Öffentliche und private Entscheidungsträger holen sich die nötige Expertise ins Haus, um mit neuen Tools, Plattformen und Techniken die Gefahren von Starkregen zu bändigen. Die Planung einer professionellen Regenwasserbewirtschaftung wird bei öffentlichen und privaten Großprojekten zum Standard – ganz gleich, ob es sich dabei um Neubau, Umbau, Modernisierung, Quartiersentwicklung oder Stadtplanung geht. Und gerade die innovativen digitalen Methoden, die dabei zum Einsatz kommen, waren vor zehn Jahren noch Science-Fiction.
Natürlich spielt sich das alles nicht mit der Transformationsgeschwindigkeit der IT-Branche ab. Das hat seinen Grund: Die agile „Done-is-better-than-perfect“ Mentalität kalifornischer Startups mit Kunden als Beta-Testern wird im Wassermanagement aus guten Grünen nicht praktiziert. Im Gegensatz zu einem Bug in einer App lässt sich eine Infrastruktur-Fehlinvestition in dreistelliger Millionenhöhe nicht eben mal „nachkorrigieren“. Es geht also alles aus gutem Grund konservativer und vorsichtiger zu. Trotzdem macht es Sinn, sich gemeinsam mehr zuzutrauen, auch wenn die innovative Lösung noch nicht als komplett fertiges Produkt dasteht. Die für uns spannendsten Gespräche mit Kunden sind die, bei denen der Lösungsweg noch nicht komplett ausdefiniert ist, wo die Dinge noch – im Wortsinne – im Fluss sind. Was erwartet uns, welche Tools sind schon am Start oder in der gemeinsamen Entwicklung?
• Digitale Starkregengefahrenkarten bilden mehr als nur Wasserstände auf digitalen Karten ab. Die Verschneidung mit Informationen zu Kanalsystemen, Gebäudebeständen und Versicherungsdaten ermöglicht zuverlässige Schadensprognosen und identifiziert die besonders kritischen Bereiche mit dem größten Handlungsbedarf. Im Zusammenspiel mit KI-gestütztem „Nowcasting“ (in Ergänzung zum regulären „Forecasting“) mit stunden- oder gar minutenbasierte Prognosen für lokale Extremereignisse ergeben sich enorme Resilienzvorteile. Damit wird die gefürchtete „Vorhersagelücke“ der traditionell nicht vorhersagbaren Starkniederschläge geschlossen.
• KI-gestützte Kanalnetzbewirtschaftung steht vor der Anwendungsreife. Intelligente Echtzeit-Datenerfassung, -auswertung und -überwachung kann im Ernstfall den entscheidenden Unterschied machen, um das vorhandene Kanalnetz- und Speichervolumen bei Starkregen optimal zu nutzen und Niederschlagsmengen mit minimalem Schadenspotenzial zu verteilen.
• Digitale Zwillinge bilden die komplette „Hardware“ der Entwässerungsinfrastruktur einer Stadt (… oder eines Industriestandortes) ab und bilden die Basis für virtuelle Szenarien, mit denen die Reaktionen auf Extremereignisse optimiert und Investitionen in Resilienz besser gesteuert werden können. Auch in Bezug auf die wirtschaftliche Optimierung des Wartungs- und Instandhaltungsmanagements bieten solche Zwillinge enormes Einsparungspotenziale.
Auch an der ingenieurtechnisch-baulichen Entwicklungsfront zeigt sich große Innovationsdynamik:
• Das Konzept der Schwammstadt ist seit Jahren in der Diskussion und gewinnt an vielen Einzelbaustellen inzwischen an Konturen. Das gesamte gebaute urbane Umfeld – Gebäude, Verkehrsflächen, Freiflächen – wird aus der Perspektive des optimierten Wasserhaushalts analysiert. Konkretes Beispiel: Smart SWS (Smarte, multifunktionelle Wasserspeicher) puffern die Extreme zwischen kurzen Starkregenereignissen und langen Trockenperioden. Durch intelligentes Versickerungsmanagement und kontrollierten Abfluss in Grundwasserleiter und Vorfluter entstehen naturnahe Speicherkapazitäten mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten.
• Mit ihren „blaugrünen Infrastrukturen” haben urbane Zentren die Werkzeuge an der Hand, sich sukzessive dem Ideal der Schwammstadt zu nähern. Begrünte Dächer, Baumrigolen oder Versickerungsmulden puffern die mitunter enormen Niederschlagsmengen ab, sorgen für einen kontrollierten Abfluss, verbessern das Stadtklima und schonen die flutgefährdeten Zonen an den Unterläufen der Vorfluter.
• Nature Based Solutions orientieren sich an natürlichen Regulationsmechanismen und modifizieren sie mit „minimalinvasiven“ Methoden, um die Starkregen-Resilienz von Städten und Industrieparks zu erhöhen.
Projekterfolge dank zielorientierter Kooperation
Bei alldem wird zunehmend kooperativ und ganzheitlich gedacht und gehandelt – mit beeindruckenden Ergebnissen beispielweise in Berlin, New Jersey, Toronto oder Utrecht. Für einen Industriepark in Norddeutschland analysieren wir alle Grundlagendaten in Bezug auf Kanalnetze, Sonderbauwerke und Vorfluter. Aus den Ergebnissen leiten wir Modellsimulationen ab, mit denen wir die größten Gefahrenquellen bei extremen Niederschlagsereignissen identifizieren können. Auf dieser Basis können die Entscheidungsträger und Stakeholder diejenigen Maßnahmen identifizieren, mit denen die Investitionen in Starkregen-Resilienz den besten Output generieren.
Eine unserer wichtigsten Lehren aus diesen Praxiserfahrungen der letzten Jahre: Die technische und digitale Expertise kann erst dann ihre positive Wirkung voll entfalten, wen sie mit den entsprechenden „Soft Skills“ in den Bereichen Kommunikations- und Stakeholder Management ergänzt wird. Starkregen-Resilienz ist immer eine komplexe und interdisziplinäre Herausforderung, die bei öffentlichen und privaten Auftraggebern eine Vielzahl von Entscheidungsträgern involviert. Diese Akteure so an einen Tisch zu bringen, dass Projekte effizient und zielorientiert vorankommen, ist heute eine Schlüsselfaktor und hat sich zu einer eigenen Fachdisziplin entwickelt.
Unterm Strich gilt also der Grundsatz, die Klimaprognosen ernst zu nehmen, aber nicht in Schockstarre zu verfallen. Die Anpassung an Klimafolgen ist kein Luxus, den wir uns leisten, sondern eine schlichte Notwendigkeit und existenzielle Daseinsfürsorge. Sie bieten darüber hinaus die Chance für eine substanzielle Verbesserung der Lebensqualität.