Arcadis-Experte Olaf Dünger erläutert im Interview die Hintergründe des neuen Qualitätsstandards und die Vorteile für Kunden und Auftraggeber im Bau- und Immobiliensektor.
Frage: Olaf, die meisten, die irgendetwas mit dem Bausektor zu tun haben, verbinden das Kürzel RAL mit der berühmten Farbpalette. Das ist aber nicht die ganze Geschichte hinter den drei Buchstaben, oder?
Antwort: Das ist richtig. Die RAL-Welt definiert seit mittlerweile fast 100 Jahren Qualitätsstandards für die verschiedensten Produkte und Dienstleistungen. Der Vorteil für Verbraucher und professionelle Kunden: Wenn das RAL-Siegel draufsteht, kann man sich auf die Einhaltung dieser Standards verlassen. Das kann also substanziell helfen bei Entscheidungs- und Vergabeprozessen.
Frage: … und jetzt also auch ein Gütezeichen für den Sektor Schadstoffsanierung im Baubestand. Das war wahrscheinlich kein trivialer Prozess, der in einer Woche abgearbeitet war.
Antwort: In der Tat hat es gedauert. Wir haben im Rahmen unserer Mitgliederversammlungen im Gesamtverband Schadstoffsanierung schon vor einigen Jahren darüber diskutiert, dass ein solches Zertifizierungssystem Sinn machen würde. Aber wie es immer so ist: Zwischen Idee und Realisierung lag mehr Arbeit, als uns beim Start bewusst war.
Frage: Warum die ganze Mühe?
Antwort: Wir haben gemeinsam versucht, die Sache aus der Perspektive der Kunden zu betrachten. Eigentümer, Betreiber und Nutzer von Immobilien und Anlagen sind in aller Regel Laien, wenn es bei Rück- und Umbaumaßnahmen um den sicheren, professionellen Umgang mit Schadstoffen geht. Gleichzeitig ist dieses Themenfeld in den letzten Jahren komplex geworden. Die Qualitätsverpflichtung, die Gutachter / Planer sowie ausführende Unternehmen mit der Nutzung des Siegels dokumentieren, gibt Kunden und Auftraggebern Orientierung in diesem dynamischen, vielschichtigen und vor allem sicherheitsrelevanten Themenfeld.
Frage: Was genau verbirgt sich hinter dem Gütezeichen? Welche Arbeitsfelder werden geregelt und ausdefiniert?
Antwort: Da wären zum einen die Inhalte und der Umfang aller Erkundungsmaßnahmen, wenn es um die gutachterliche Erfassung von Gebäudeschadstoffen im Bestand in technischen Anlagen und Gebäuden geht; nach der Erkundung sind Standards für die Fachplanungen festgelegt, auf deren Grundlage Sanierungen und Entfrachtungen durchgeführt werden – inklusive der erforderlichen Vorabdeklaration der Abfälle und ihrer Voreinstufung in gefährliche und nicht gefährliche Abfälle. Und ebenso sind Standards für die ausführenden Sanierungsfachbetriebe festgelegt, um eine fachgerechte Schadstoffentfrachtung im Bestand abzusichern. Leitlinie bei der Entwicklung war natürlich der maximale Gesundheitsschutz für alle Nutzer und Beteiligten. Da sind also insgesamt viele Jahre Praxiserfahrung und eine Menge Expertise eingeflossen.
Frage: Wie sieht der rechtliche Kontext aus. Konkretes Beispiel: Kann ein öffentlicher Auftraggeber das Gütezeichen als Vergabekriterium verlangen?
Antwort: Das kann er tatsächlich. In der Vergabeverordnung für öffentliche Aufträge sind die Kriterien für solche Gütesiegel exakt definiert. Wir haben bei der Entwicklung des RAL-Gütezeichens akribisch darauf geachtet, dass wir diesem Anforderungskatalog vollumfänglich entsprechen. Insofern spricht nichts dagegen, dass das RAL-Gütezeichen Schadstoffsanierung im Bestand zum Standard wird bei öffentlichen Aufträgen rund um Umbau, Modernisierung und Schadstoffsanierung.
Frage: Wer ist prinzipiell berechtigt, das Gütezeichen zu führen? Und wie erwirbt man das Recht, mit dem Zeichen zu werben?
Antwort: Da wären einmal alle Gutachter / Planer, die in diesem Arbeitsfeld unterwegs sind. Und natürlich alle ausführenden Sanierungsunternehmen, die Schadstoffsanierungen im Bestand ausführen. Sie alle müssen sich jährlich von einem externen Prüfinstitut RAL-zertifizieren lassen. Dabei wird ein breites Themenfeld abgeprüft: Wie steht es mit der Einhaltung der gesetzlichen Regelwerke? Stimmen Organisationsmanagement und Betriebsabläufe? Sind personelle Ausstattung und Mitarbeiterqualifikationen auf dem erforderlichen Level? Gilt das gleiche für Fach- und Sachkunde? Wie steht es um die technische Ausstattung, den Maschinen- und Gerätepark? Liegen die erforderlichen Versicherungspolicen vor? Neben der Fremdkontrolle ist zusätzlich eine Eigenkontrolle installiert, die zwischen den externen Prüfintervallen die Qualität absichert. Man sieht: Die Anforderungen für das Recht, das Gütezeichen auf die Webseite zu setzen, sind nicht ganz einfach.
Frage: … und nach erfolgreicher Zertifizierung bekommen alle das gleiche Siegel?
Antwort: Nicht ganz – um eine maximale und spezifische Anpassung an die verschiedenen Aufgabenbereiche zu erreichen, wird das Siegel in zwei Aufgabenbereichen vergeben: Im Bereich Gutachter / Planer sowie im Bereich der Sanierungsfachbetriebe. Im Gutachter / Planer-Bereich geht es um die Standards für eine sorgfältige Schadstofferkundung bei der Erstellung von Schadstoffkatastern. Auf Basis der Erkundungsergebnisse werden die Sanierungsarbeiten bei Eingriffen im Bestand anschließend mit höchstmöglichen Sicherheitsstandards durchgeplant und Wiederverwendungs- und Entsorgungsmöglichkeiten abgeklärt. Stichworte in diesem Zusammenhang: Verwertung, Recycling bzw. Abfallbeseitigung. In der Ausführungsphase sorgt die Fachbauleitung mit der entsprechenden bautechnischen Begleitung für die notwendige Absicherung der Qualität in der Schadstoffentfrachtung. Und der Sanierungsfachbetrieb kümmert sich während der Schadstoffsanierung mit seiner Qualität für die fachgerechte Umsetzung der Planung und sichert den Nutzer- und Umgebungsschutz sowie eine hochwertige Verwertung der anfallenden Abfälle ab.
Frage: Das neue RAL-Gütezeichen Schadstoffsanierung im Bestand wird nun am Markt etabliert. Ist eure konzeptionelle Arbeit damit abgeschlossen?
Antwort: Der nächste formelle Verfahrensschritt ist die Eintragung des Gütezeichens beim europäischen Markenamt als sogenannte Unionsgewährleistungsmarke. Abgesehen davon gilt natürlich der Grundsatz „nach dem Spiel ist vor dem Spiel“. Schadstoffsanierung und -management entwickeln sich permanent fort. Entsprechend müssen die Zertifizierungsstandards permanent angepasst und aktualisiert werden. Für uns sind die RAL-Gütegemeinschaft Schadstoffsanierung sowie der Gesamtverband Schadstoffsanierung e.V. die perfekten Plattformen, um unsere Expertise dabei einzubringen.