David Büchmeier im Gespräch über den Ausbau von Wasserfern- und Verbundleitungen
Frage: Wir haben eins der leistungsfähigsten Autobahnnetze der Welt. Unsere ICE-Strecken verbinden Großstädte im Hochgeschwindigkeitsmodus. Wir transportieren Wind- und Sonnenstrom über mehrere hundert Kilometer Entfernung bis zu den Verbraucher*innen. Die Trinkwasserversorgung scheint dagegen immer noch eine ziemlich „provinzielle“ Angelegenheit zu sein …
Antwort: Das ist richtig und hat auch seine Gründe. Es war in der Vergangenheit schlicht der Bedarf nicht da für die „Langstrecken“ im Versorgungsnetz. Die Niederschlagsverhältnisse waren so, dass die lokalen und regionalen Verbundnetze die Nachfrage ganzjährig mehr oder weniger erfüllen konnten. Extreme Dürreperioden waren so selten, dass sie keine hohen Investitionen in „Fernwasserstraßen“ gerechtfertigt hätten. Mit dem Klimawandel werden die Karten allerdings neu gemischt. Wir müssen damit rechnen, dass auch in Deutschland große Zonen über längere Zeiträume unterversorgt sein können und auf Hilfe angewiesen sind.
Frage: Müssen wir in Bezug auf die überregionale Versorgungsinfrastruktur bei null anfangen? Wie sieht der Status quo aus?
Antwort: Glücklicherweise nicht. Der Trend geht in den letzten Jahren schon dahin, lokale und regionale Systeme der Trinkwasserversorgung zu vernetzen, um sich resilienter aufzustellen. Ein konkretes Beispiel: In Baden-Württemberg ist der „Zweckverband Wasserversorgung Kleine Kinzig“ der einzige von vier landeseigenen Fernversorgern, der eine eigene Trinkwasser-Talsperre als Ressource nutzen kann. Wir helfen dem Verband dabei, seine Infrastruktur so auszubauen, dass über ein 220 Kilometer langes Leitungsnetz eine Viertelmillion Menschen mit sauberem Wasser versorgt werden kann. Oder Beispiel Bayern: Dort soll eine überregionale Fernwasserversorgung entstehen, die vom Bodensee bis nach Niederbayern reicht. Der Entwicklungsvektor zeigt also bereits in die richtige Richtung und sollte natürlich nicht an den Grenzen der Bundesländer haltmachen.
Frage: Wo liegen Hürden? Was hemmt die Ausbauprozesse?
Antwort: Das sind zum Teil ähnliche Faktoren, die auch bei anderen Großvorhaben des Infrastruktur-Ausbaus eine Rolle spielen. Wenn ein wasserrechtlicher Genehmigungsantrag nach Wasserhaushaltsgesetz mitunter zehn Jahre Bearbeitungszeit beansprucht, dann haben wir ordentlich Potenzial im Bereich öffentlicher Prozessoptimierung. Darüber hinaus involvieren neue, überregionale Infrastrukturtrassen immer viele Betroffene, Unternehmen, Grundstückseigentümer sowie öffentliche und private Entscheidungsträger. Es reicht also nicht, ingenieurtechnische und wasserbauliche Expertise an den Tisch zu bringen – man muss sie kombinieren mit modernsten Modellen der Projektsteuerung, des Kommunikations-, Stakeholder- und Beteiligungsmanagements. In diesem Zusammenspiel aus effizienteren Genehmigungsprozessen, interdisziplinärer Ingenieur-Expertise und modernen Moderations-, Management- und Steuerungsstrategien steckt eine Menge Potenzial für eine resiliente Trinkwasserversorgung.
Frage: Ist das allgemeine Problembewusstsein vorhanden? Was ist dein Eindruck aus der Praxis?
Antwort: Ich denke ja. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. hat letztes Jahr den Finger in die Wunde gelegt mit seiner Kritik, dass der rechtliche Rahmen für Wasserfernleitungen deutlich hinter den Regelungen anderer Infrastrukturen zurückbleibt – zum Beispiel im Vergleich mit Fernstraßen oder Energietrassen. Trinkwasserversorgung ist existenzielle Daseinsvorsorge. Um sie überregional zukunftssicher aufzustellen, müssen sich alle Beteiligten gemeinsam aus ihren Komfortzonen bewegen. Ich bin optimistisch und sehe ein breites Problembewusstsein. Darüber hinaus ist es natürlich eine unglaublich spannende Herausforderung, eine solche Transformationsphase als Experte für Siedlungswasserwirtschaft aktiv mitzugestalten.
Frage: Wie sieht es aus deiner Perspektive auf bundespolitischer Ebene aus? Stimmen die grundsätzlichen Weichenstellungen?
Antwort: Wenn ich mir die im letzten Jahr vom Parlament verabschiedete Nationale Wasserstrategie anschaue, bin ich optimistisch gestimmt. Das „Aktionsprogramm Wasser“ des Strategiepakets formuliert ausdrücklich die Notwendigkeit, Regelwerke bundeseinheitlich zu gestalten und zu vereinfachen mit der Zielrichtung, Nah- und Fernversorgung resilient aufzustellen. Insofern ist die Herausforderung also auch in Berlin erkannt und adressiert.
Frage: Können wir für diese Aufgabe aus anderen Arbeitsfeldern lernen? Gibt es „Best Practices“ mit Vorbildcharakter?
Antwort: Unbedingt. Wenn sich beschleunigte Genehmigungsprozesse für andere große und aktuelle Herausforderungen im Bereich Versorgungsinfrastruktur bewährt haben, sollten wir sie adaptieren. Erfolgreiche, komplett durchdigitalisierte und effiziente Planungsprozesse lassen sich auch auf neue Fernleitungen für Trinkwasser übertragen. Die frühzeitige und professionelle Einbeziehung aller Betroffenen in Entscheidungsprozesse hat gezeigt, dass große Infrastrukturprojekte nicht zwingend durch langwierige juristische Auseinandersetzungen eingebremst werden müssen. Innovative Projektmanagement-Plattformen sorgen für Kosten- und Terminsicherheit. Der Werkzeugkasten für den Ausbau der großflächig vernetzten Trinkwasserversorgung ist also gut bestückt. Wir müssen ihn öffnen und die Tools nutzen.
Frage: Sind neue Fernleitungen der „Joker“ für eine klimaresiliente und nachhaltige Wasserversorgung?
Antwort: Das sind sie isoliert betrachtet natürlich nicht. Sie machen nur Sinn in Kombination mit einem intelligenten Grundwassermanagement im engeren Sinne – und wenn man es ganzheitlich betrachtet, muss das gesamte Wassermanagement ein stimmiges Paket ergeben. Ein konkretes Beispiel aus dem Themenfeld Grundwasser: Im hessischen Ried sind wir an Planung und Bau einer Infiltrationsanlage beteiligt, die mit Rheinwasser die lokalen Grundwasserressourcen anreichert und so die Versorgung von Millionen Menschen im gesamten Rhein-Main-Gebiet sichert. In Dresden kombinieren wir für das Wasserwerk Hosterwitz Flächenversickerung mit Sickerschlitzgraben. Diesen hybriden Konzepten, die mit modernsten technischen Mitteln natürliche Potenziale – hier die geogene Filtrationskapazität des Untergrundes – maximal nutzen, gehört die Zukunft.
Frage: Wenn wir den Bogen weiter spannen in Richtung ganzheitliches Wassermanagement – was sind aus deiner Sicht die wichtigsten Aktionsfelder?
Antwort: Da fallen mir spontan und ohne Anspruch auf Vollständigkeit zum Beispiel alle Projekte ein, die in den letzten Jahren unter der Überschrift „Schwammstadt“ auch medial präsent waren – die Maximierung der urbanen Speicherkapazität für Wasser (mehr dazu: „Sponge City“ Berlin; Regenwassermanagment in Berlin). Auch für Industrie und Logistik wird das Thema nachhaltige Regenwasserbewirtschaftung immer wichtiger. Darüber entwickeln sich systemisch getrennte Brauchwassersysteme, die die Trinkwasserressourcen schonen, zu einem ganz großen Zukunftsthema. Die Einführung des Verursacherprinzips bei der Finanzierung der Wasseraufbereitung wird einen großen Planungs- und Beratungsbedarf generieren. Und dann sind da noch die weniger prominenten, aber nicht weniger wichtigen „Nischenthemen“ – beispielweise die Optimierung von Energieverbrauch und -effizienz in den Trinkwasserversorgungsnetzen. Und all diese Puzzlestücke müssen am Ende natürlich ein stimmiges Bild ergeben, wenn maximaler und nachhaltiger Mehrwert für Wirtschaft und Gesellschaft dabei herauskommen soll.
Frage: Ok, nehmen wir zum Abschluss an, du hast 30 Sekunden Zeit, eine Rede an die Nation zum Thema Wasserversorgung zu halten. Was ist deine Botschaft?
Antwort: Das ist leicht zu beantworten – ich würde dazu auffordern, einer großen „Wasserwende“ die gleiche Bedeutung zu geben wie der Energiewende. Das würde uns allen (hoffentlich) einen mächtigen Motivationsschub geben.